G. Germann: Das Multitalent Philipp Gosset 1838 –1911

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Titel
Das Multitalent Philipp Gosset 1838 –1911. Alpinist, Gletscherforscher, Ingenieur, Landschaftsgärtner und Topograf


Herausgeber
Germann, Gerorg
Erschienen
Baden 2014: hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte
Anzahl Seiten
240 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Tobias Krüger, Grafenried

Philipp Gosset war, wie im Titel angegeben, ein Multitalent: Alpinist, Gletscherforscher, Topograf, Eisenbahningenieur, Stadtplaner und Leiter einer Baumschule. Es war naheliegend, für den vorliegenden Sammelband Spezialisten für die Geschichte dieser Fachgebiete zusammenzubringen. Der Aufbau folgt in etwa dem einer klassischen Biografie. Die Beiträge der fünf Autoren sind auf neun Kapitel verteilt. Ihnen schliesst sich ein Nachtrag zu kürzlich aufgefundenen Unterlagen der Familie Gosset an. Abgerundet wird der Band durch Abkürzungsliste, Bildnachweis, Zusammenstellung der bekannten Publikationen Gossets, Zeittafel zu seinem Leben und Personenregister. Leserfreundlich ist die Verwendung von Fussnoten, die neben Belegfunktionen auch zur genaueren Diskussion einzelner Sachverhalte Verwendung finden. Gut ausgewählte, teils farbige Abbildungen, auf die zusätzlich in Randvermerken verwiesen wird, tragen zur ansprechenden wie seriösen Erscheinung des Buches bei. Einzig der vergleichsweise dünne Pappeinband ist der Aufmachung des Buches etwas abträglich.

Georg Germann leuchtet im ersten Kapitel die Herkunft und Jugend Philipp Gossets aus, wobei er auch die Frage der verfügbaren Quellen knapp reflektiert. Gerne hätte man etwas mehr zum Hintergrund von Gossets Familie erfahren, die von der Kanalinsel Jersey stammte. Im zweiten Kapitel befasst sich Germann mit Gossets Beziehungen innerhalb der Berner Gesellschaft. Dabei erfahren wir, dass sich Philipp Gosset nach dem Tod seiner ersten Frau 1905 erneut verlobte. Aus diesem Anlass schrieb Gosset einem langjährigen Freund, seine Verlobte sei verwitwet. Auf der folgenden Seite erfahren wir jedoch, dass sie geschieden war. Germann kommentiert dies nicht weiter. Hier hätte sich Gelegenheit geboten, Geschlechterrollen, Konventionen und Moralvorstellung sowie Gossets Haltung dazu in den Blick zu nehmen. Klagte er doch bei anderer Gelegenheit, in Bern nur selten Personen zu treffen, die andere als «sehr bourgeoise Ideen» vom Leben hätten (S. 47).

Mit Philipp Gosset als Alpinist setzt sich Quirinus Reichen im dritten Kapitel auseinander. Gossets grosse Zeit als Bergsteiger lag in den 1860er-Jahren. Beim 1864 unternommenen Versuch der winterlichen Besteigung des Haut de Cry wurde die Gruppe um Gosset von einer Lawine erfasst. Einer seiner Freunde und der prominente Bergführer Johann Benet (auch: Bennen) kamen ums Leben. Gosset wurde vom Bergführer Frédéric Rebot (nicht Robot wie im Beitrag angegeben) gerettet. Darauf publizierte Gosset einen Aufsatz, in dem er sein Erlebnis schilderte und mit physikalischen Überlegungen verband, was ihm den Ruf als Lawinen-Experte einbrachte. Von drei weiteren, durch Veröffentlichungen fassbaren Unternehmungen sei nur die Untersuchung des Märjelensees erwähnt. Interessant wäre es gewesen, zu erfahren, ob Gosset auf die Arbeiten vorangehender Gletscherforscher Bezug nahm. Louis Agassiz etwa diente der See als Vergleichsobjekt zu den sogenannten Parallel Roads von Glen Roy, Uferlinien eines eiszeitlichen Gletschersees in Schottland. Reichens Aussage, Gossets Eintrittsdatum in den SAC sei nicht bekannt, ist mit Blick auf Rickenbachers Beitrag (S. 115) zu korrigieren.

Martin Rickenbacher bietet im vierten Kapitel einen gründlich recherchierten Überblick der vielseitigen Tätigkeit Gossets als Mitarbeiter des Eidgenössischen Stabsbüros. Hier soll nur die Mitarbeit an verschiedenen Kartenblättern der revidierten Ausgabe des Topographischen Atlas und bei Tiefensondierungen in verschiedenen Schweizer Seen genannt werden.

Im folgenden fünften Kapitel befasst sich Rickenbacher mit der Vermessung des Rhonegletschers, die gemeinhin als Hauptwerk Gossets gilt. Dabei zeichnet er dessen Zerwürfnis mit seinen Auftraggebern, begünstigt durch unklare Anweisungen, Kostenüberschreitungen und den übersteigerten Gerechtigkeitssinn Gossets nach. Dieser vermochte Kränkungen nicht zu überwinden, musste sich zeitweilig in psychiatrische Behandlung begeben und schied schlussendlich aus dem Dienst des Topographischen Büros aus. Zu relativieren dürfte Rickenbachers Einschätzung sein, 1874 hätten erst wenige Spezialisten gewagt, im Hochgebirge zu fotografieren (S. 128). Schon seit Mitte der 1840er-Jahre machten diverse französische Fotografen Aufnahmen in den Hochalpen. Wie Rickenbacher zutreffend bemerkt, gerieten Gletscher nach der Auswanderung von Louis Agassiz aus dem Blickfeld Schweizer Forscher. Der elsässische Fabrikant Daniel Dollfus Ausset (1797–1870) führt die von Agassiz begonnenen glaziologischen Beobachtungen jedoch bis in die zweite Hälfte der 1860er-Jahre fort. Vermutlich wollte Eugène Rambert mit dem 1868 unterbreiteten Vorschlag einer systematischen, wissenschaftlichen Gletscherforschung durch den SAC daran anknüpfen.

Steffen Osoegawa geht im sechsten Kapitel der Geschichte der Canadischen Baumschule nach. Ein Motiv für die Gründung der Baumschule nennt er nicht, in ihren Anfangsjahren habe es sich eher um einen Versuchsbetrieb gehandelt. Gosset sei nie auf Einkünfte aus dem Baumschulbetrieb angewiesen gewesen. Da es ihm vermutlich nicht standesgemäss erschienen sei, hätte er sich vom Kreis der Berner Handelsgärtner ferngehalten. Dagegen habe er zeitweilig erfolgreich versucht, durch direkte Kontaktnahme mit Magistraten Aufträge zu akquirieren. In späteren Jahren suchte Philipp Gosset nach einem Schweizer Gartenstil. Nach Osoegawas Einschätzung hätten ihn die Liebe zur Alpenwelt und seine Begeisterung für das Mittelalter zum helvetischen Alpengarten geführt. Als dessen Merkmale nannte Gosset allerdings nur alpine Pflanzen und Findlinge. Plausibel erscheint Osoegawas Deutung, der vom Mittelalter faszinierte Gosset habe in seinem Landschaftspark in Wabern, den er neben Hecken in Form von Zinnen und Türmen mit Elementen eines Alpengartens gestaltete, nach seinen eigenen Wurzeln gesucht. Anders als von Osoegawa angegeben, knüpfte Gosset mit der Verwendung von Findlingen nicht an eine spezifisch Berner Begeisterung für ortsfremde Felsbrocken an. Vielmehr dürfte die seit den 1860er-Jahren entstandene Findlingsschutzbewegung den Hintergrund bilden. Zu guter Letzt noch ein Flüchtigkeitsfehler: Wilhelm Utess, Gossets Nachfolger als Leiter der Baumschule, starb 1970, nicht 1980.

In einem gemeinsam verfassten Kapitel widmen sich Steffen Osoegawa, Quirinus Reichen und Urs Germann der Beteiligung Gossets bei der Anlage des Gartens des Bernischen Historischen Museums. 1893 erhielt er den Auftrag zur Bepflanzung des Gartens. Bald kam es zu Konflikten mit seinen Auftraggebern. Gosset habe sich gekränkt gefühlt und sei vermutlich in eine Depression gefallen. Schliesslich wurde ihm 1896 der nur teilweise ausgeführte Auftrag entzogen.

Jürg Schweizer befasst sich im achten Kapitel mit Philipp Gossets Tätigkeit als Planer, Gutachter und Zeichner verschiedener Stadterweiterungsprojekte in Bern. Das bedeutendste Vorhaben dürfte Gossets 1864/65 entstandene Planungsstudie für eine zukünftige Kirchfeldüberbauung gewesen sein.

Am Schluss des Buches unternimmt Georg Germann den Versuch, die Persönlichkeit Philipp Gossets zu beschreiben. Doch wie er schon im Vorwort bemerkt, reichen die verfügbaren Quellen nicht, den Charakter Gossets völlig zu erfassen.

Insgesamt präsentiert der gut lesbare Band über Philipp Gosset die Umrisse einer vielfach begabten, sensiblen, gelegentlich auch schwierigen, international vernetzten Persönlichkeit, deren Bedeutung trotz lebenslanger Verwurzelung in Bern über ihre Heimatstadt hinausreicht.

Zitierweise:
Tobias Krüger: Rezension zu: Germann, Georg (Hrsg.): Das Multitalent Philipp Gosset 1838 –1911. Alpinist, Gletscherforscher, Ingenieur, Landschaftsgärtner und Topograf. Baden: Hier und Jetzt 2014. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 78 Nr. 2, 2016, S. 56-58.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 78 Nr. 2, 2016, S. 56-58.

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